Mir geht es ja wie so vielen- spontanes: na endlich. Auch wenn ich lese, wie viele andere Anbieter von Facebook bis Amazon jetzt ähnliche Entscheidungen treffen. Zum Beispiel auch bezüglich zehntausender QAnon-Accounts.Nun folgt jedoch das Aber! Bürgerrechte gelten für alle! Was heißt das? Ein paar Gedanken dazu.

Das werbebasierte Geschäftsmodell der Plattformen hat die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und Verrohung, die Vernetzung des Rechtsextremismus nach dem Motto „Hauptsache viele Klicks“ jahrelang befördert und ausgenutzt. Die Sperrung von Trumps Account ist nun in allerletzter Sekunde zum Ende seiner Amtszeit vorgenommen worden.

Schon vor seiner Präsidentschaft hat Donald Trump die sozialen Netzwerke für Desinformationen, Hass und Hetze genutzt. Er war Teil einer größeren strategischen Aufstellung, die die demokratischen Institutionen und Prozesse infrage stellt. Menschen werden aufgehetzt, raus kommen Profite und wirtschaftliche Potenziale für die Reichen. Monatelang hat er zuletzt das Narrativ zementiert, er könne die Wahlen nur durch Wahlbetrug verlieren. Wieder und wieder hat er seine Anhänger*innen aufgestachelt, sich gegen die angeblich gestohlene Wahl mit „Mut“ und „Stärke“ zu wehren. Die Stürmung des Kapitols hat deutlich gezeigt, dass es hier um nichts anderes als den Angriff auf die Demokratie geht.

Ich finde es richtig und es war lange überfällig, dass die Plattformen begonnen haben, Trumps Beiträge mit Warnhinweisen und Faktenchecks zu versehen. Denn es sollte keine Sonderbehandlung von Politiker*innen geben, sondern alle Nutzer*innen sollten gesetzlich abgesicherte und gleiche Nutzerrechte haben. Nicht, dass irgendetwas davon wirklich freiwillig geschah. Internationale Proteste, Gerichtsverfahren, öffentliche Kritik und nicht zuletzt der Druck der Unternehmen, die ihre Werbeanzeigen deshalb nicht mehr neben rechtsextremen Posts und Tweets sehen wollten, hatten ein verändertes Verhalten regelrecht erzwungen.

Nun im letzten Augenblick, angesichts der Rufe im Kapitol „ Hang Mike Pence“, angesichts der massiven geplanten Gewalt und der Funde von Waffen und Sprengstoff, ziehen die Anbieter eine Reißleine und greifen zur allerschönsten Waffe. Weil jetzt endlich die wahren Absichten nicht mehr zu negieren sind? Ihr Geschäftsmodell implodieren könnte, weil seine Rücksichtslosigkeit offenbar sind?

Ich meine: die digitale Welt bietet Kommunikationsformen an, bei denen sie allen den Zugang ermöglichen muss. Auf einzelne Äußerungen, die strafrechtlich relevant sind oder den Community Rules widersprechen – die gerichtlich überprüft werden können - kann und muss reagiert werden.  Accountsperren sind eine drastische Maßnahme, die Meinungsäußerung mit einem zentralen Werkzeug des digitalen Zeitalters unmöglich machen. So geht das nicht.

Es ist denkbar und wohl auch notwendig, bei wiederholten massiven Verstößen temporäre Accountsperren, in besonders schweren Fällen auch dauerhafte Löschungen möglich zu machen – allerdings nur auf gesetzlicher Grundlage und per Gericht. Als Reißleine aus Angst vor Werbekunden etc. aber geht das so nicht. Zudem müssen die Betroffenen über Plattformentscheidungen informiert werden und deren Anfechtung und eine Wiederherstellung des Accounts müssen möglich sein.

Der ganze Fall zeigt, wie wichtig der Digital Services Act ist, der gerade auf europäischer Ebene verhandelt wird, um erstmals EU-weit verbindliche Standards für den Umgang mit Hass und Hetze im Netz zu schaffen! Es mag uns schwer fallen uns nicht zu freuen, aber der Kampf gegen Rechtsextremismus und -terrorismus darf nicht darin enden, die Bürgerrechte abzuschaffen. Unsere Rechtsprinzipien müssen Gültigkeit behalten. Dazu braucht es couragierte Abgeordnete und eine aktive Zivilgesellschaft- in den USA und übrigens auch hier.