Im Gespräch: Renate Künast über ihre Arbeit im Bundestag

13.09.2012

Wie sind Sie zur Politik gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis? In welchem Alter sind Sie zum ersten Mal politisch aktiv geworden?

Das eine Schlüsselerlebnis gab es nicht. Ich bin 1955 geboren und die Generation meiner Eltern hat so oft mit Blick auf den 2. Weltkrieg gesagt : „Wir haben von vielen Dingen nichts gewusst, und wir hätten auch nichts ändern können!“ Diese Haltung konnte nicht akzeptieren. So wollte ich nicht sein. Wie das so ist als junger Mensch, da ist man ja sowieso ordentlich kritisch gegenüber den Eltern. Die Auseinandersetzung darüber fiel mit der Debatte über die Atomenergie zusammen. Viele wollten es als Fortschrittsidee verkaufen, , dass es nun Atomenergie statt Energie aus Kohle gäbe. Uns war bewusst, dass Radioaktivität von AKW’s selbst im Normalbetrieb ausgestoßen wird und man dafür nicht einmal einen großen Unfall haben müsste. Darüber hinaus stellten wir uns die Frage: „Wohin mit dem Müll?“ Das war für mich der Punkt, an dem ich gesagt habe: „Ich werde später nie sagen, ich habe nichts gewusst und konnte nichts ändern.“ Aus dieser Haltung hat sich dann alles weitere für meinen Lebensweg ergeben. Ich habe diesen Verbesserungsdragn in mir, egal in welchem Lebensbereich. 

Ich hab mir dann die Grünen angesehen, als sie sich gründeten weil ich mit allen anderen Parteien unzufrieden war. Die anderen Parteien haben sich meinem Erachten nach nicht um die wichtigen Dinge gekümmert, sprich, sie haben die Umwelt vernachlässigt. Ich war mir schnell sicher, dass es ein Versuch wert ist, mitzumachen. Außerdem gab es die Frauenquote. Man musste sich nicht jahrzehntelang mit den Männern um die Plätze streiten. Ein Platz für Frauen, ein Platz für Männer. Richtig politisch aktiv wurde ich dann, als ich studiert habe. Das war so mit 18 Jahren.

  
Wenn Sie nicht in der Politik aktiv wären, in welchem Beruf würden Sie dann arbeiten wollen?

Ich habe zwei Ausbildungen und bin somit Sozialarbeiterin und Juristin. Im Zweifelsfalle kann ich immer als Anwältin arbeiten. Aber auch da würde es mir darum gehen, etwas zu verändern. Eine Tätigkeit in einer Nichtregierungs-Organisation (NGO) könnte ich mir auch gut vorstellen. Es könnte um Menschen- oder Kinderrechte gehen, oder um Lebensmittel und wie sie produziert werden. Manchmal finde ich aber auch den Gedanken reizvoll, einfach nur ein , großes Gewächshaus zu haben. In der Mitte würde ein Tisch für zwölf Leute stehen, man könnte mich buchen und ich würde dann für alle kochen.


Was sind ihre Aufgaben als Fraktionsvorsitzende?

Viele denken, die Arbeit von PolitikerInnen besteht darin, Rede zu halten. Aber der größte Aufwand ist nicht in der Öffentlichkeit sichtbar. Die Fraktion ist ja eine Organisation von 68 Abgeordneten und über 100 weiteren Angestellten sowie noch vielen MitarbeiterInnen in den Abgeordnetenbüros. In einer Sitzungswoche muss viel organisiert werden mit hunderten von Anträgen die gestellt werden, zu denen wir eine Meinung haben. Und wir müssen selber welche stellen oder überlegen, welche Themen wir bearbeiten wollen und mit welchen Veranstaltungen. Z.B. werden wir demnächst eine Veranstaltungsreihe quer durch die Bundesrepublik zum Thema Tierhaltung durchführen. Dazu gehört aber auch, dass wir ein Tierschutzgesetz entwickelt und es vor der Sommerpause eingebracht haben. Das scheint sehr einfach zu sein, ist in Wahrheit jedoch enorm aufwendig. Bevor wir einen Gesetzentwurf verabschieden müssen wir mit WissenschaftlerInnen und ForscherInnenn diskutieren. Das dauert Monate und alle in der Fraktion müssen beteiligt werden. Eigentlich ist es mit dem Familienleben vergleichbar.

Das ist im Großen das Gleiche, was eine Familie macht, die darüber diskutiert, wie viel Geld sie zur Verfügung hat und wofür es verwendet werden soll. Da sollen am Ende auch alle begeistert sein. Das ist so ungefähr die Aufgabe.

 
Wissen Sie noch das Thema ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag?

Meine erste Rede im Bundestag habe ich nicht als Abgeordnete gehalten, sondern als Ministerin. Anfang 2001, als der BSE-Skandal war, bin ich Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft geworden. Zu diesem Zeitpunkt war ich keine Bundestagsabgeordnete sondern Parteivorsitzende. Ich habe eine Erklärung zum Thema BSE im Plenum abgegeben und was ich alles umstrukturieren wollte. Auf der rechten Seite des Hauses, bei der CDU, war das Entsetzen groß. Da habe ich solche Formulierungen gewählt wie „Klasse statt Masse.“ oder „In unsere Kühe kommt nur Gras, Wasser und Getreide, sonst nichts.“ Man hat bei BSE ja vermutet, dass die Tiere Abfälle zu fressen bekommen. Ich habe damit zum Respekt vor den Tieren aufgerufen. Gutes Fleisch kommt nur zustande, wenn die Tiere auch artgerecht ernährt werden.

 
Was war ihre bisher schwierigste politische Entscheidung bzw. Abstimmung?

Die schwierigste Entscheidung war für mich die Afghanistan-Entscheidung. Es ist jedes Mal sehr schwierig, über Ich weiß, dass Deutschland sich seiner Verantwortung nicht entziehen kann. Damals, am 11. September 2001, sind die USA angegriffen worden. Man kann nicht erwarten, dass wir zwar geschützt werden, aber andersrum nicht helfen müssen. Auslandseinsätze von Soldaten sind immer das Komplizierteste. Wir verteidigen uns in der NATO gegenseitig und stehen füreinander ein. Aber jeder einzelne Schritt muss genau auf seine Richtigkeit überprüft werden. Man sollte nur, wenn es wirklich nicht anders geht, überhaupt etwas mit dem Militär machen. Außer-dem hat man eine besondere Verantwortung für die Soldaten, die Menschen, die man da hinschickt. Das wiegt sehr schwer.

 
Kommen Sie gut mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus und wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen?

Wir haben ein sehr gutes Klima in unserer Fraktion. Wir sind zwar nicht immer einer Meinung, aber dann müssen wir einen Kompromiss finden durch Diskussionen, oder eine/r gibt auch mal nach. Da wird immer ein Weg gefunden. Die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen funktioniert unterschiedlich gut. Aber wir pflege mit allen einen respektvollen Umgangston. Wenn es notwendig ist, kann ich auch mal verbal auf den Tisch. Mir ist aber wichtig, egal worum es geht, gute Umgangsformen zu wahren. Die Menschlichkeit ist mir sehr wichtig.

 
Haben Sie es jemals bereut, dass Sie in die Politik gegangen sind?

Nein, bereut habe ich es nie. Wenn ich mal lange Urlaub gemacht habe, frage ich mich schon immer mal wieder, warum ich mir einen Job mit so viel Arbeit, gerade auch an den Wochenenden, ausgesucht habe. Die Erwartungshaltung vieler Menschen ist auch sehr hoch; sie wollen einen sehen und das auch am Wochenende, beispielsweise auf einem Stadtfest. Aber das gehört mit dazu. Ich freue mich auch darüber, dass die Menschen mit mir sprechen wollen, denn das heißt: Sie haben Interesse und ein gewisses Vertrauen. Trotzdem versuche ich darauf achten, noch genügend Freizeit und Zeit für Freunde zu haben

 
Wollen Sie sich im nächsten Jahr erneut zur Wahl für den Bundestag stellen?

 Ja, ich will!

  
Wir danken Ihnen für das nette und informative Gespräch.

  

Ewelina Zych und Maraike Schahn
Praktikantinnen bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages, Referat ZT 4 -Teilbereich Etagendienst-