"Ich habe einen Traumjob"

03.06.2003 Ein Porträt der Ministerin im SWR:

Renate Künast ist heute morgen zwar nicht mit den Hühnern aufgestanden, aber sie musste früh raus, weil sie um 7.30 Uhr einen Massagetermin hatte.
Die Massage braucht sie unter anderem auch, um ihren straffen Tagesablauf zu bestehen. Ein Termin jagt den anderen und Renate Künast jagt mit, täglich hantiert sie mit vielen unterschiedlichen Themen, muss permanent präsent sein und sich zu den Sorgen der Milchbauern und der Agrarreform ebenso präzise äußern können wie zu ihren Mitarbeitern und zu gesunder Ernährung.
Renate Künast trinkt viel Tee – auch Grünen. Welches Rezept hat sie, um bei all dem Stress auch wieder runterzukommen?

"Wahr ist, dass die Teepause gar nicht ausreicht, sondern Sie müssen dann zusehen, dass Sie wirklich einen ganzen Samstag und Sonntag Zeit haben. Da müssen Sie zwar hier und da noch ein Telefongespräch führen, aber Sie müssen sich irgendwie aufs Land bewegen und skaten und mit Freunden reden und aus diesem Tempo, in dem sich das Hamsterrad dreht, einfach mal rauskommen. Ich muss - bis hin zu kleinen Urlauben - wie eine Henne ihr Küken diese Wochenenden verteidigen unter mithilfe des Büros. Sonst bin ich immer um den Globus gefahren und habe nur selten Kontakt zu mir selber und das gilt es ja zu verhindern."

Die Politik stand bei der 47-jährigen Rechtsanwältin nicht von Anfang an auf dem Plan. Im Zuge der Anti-AKW-Bewegung ging sie auf Konfrontationskurs zu Eltern und Tanten und hielt Politik zunächst für eine riesige Veräppelung:

"Ich war mit 15 schüchtern und mit 18 habe ich mich auf den Weg gemacht. So empfinde ich das selber auch im nachhinein. Ich hätte mich mit 15 nie engagiert als Schulsprecherin, weil ich mir erst mal drei Gedanken gemacht habe bevor ich redete, das glaubt mir heute keiner, ich weiß es. Mich hat dann einfach emotional vieles getroffen. Diese Verdummung, diese Einmischung der USA in Chile, der Vietnamkrieg, das war etwas, womit ich mich auseinandergesetzt habe und einfach unglücklich war und dachte, so geht es eigentlich nicht. Ja und dann ist es aus so einem christlich-moralischen Gefühl herausgekommen, dass ich mich engagieren wollte, alles andere wäre unehrlich gewesen. Und dann ging das seinen Weg. Ich habe nie im Leben geplant, Politikerin zu werden, ich wollte mich neben der beruflichen Tätigkeit engagieren."

In der grünen Partei hat sie sich von Anfang an wohl gefühlt, weil es dort, wie sie sagt, keine Denktabus gab. So gut wie die Männer in der Partei war sie immer, meistens sogar besser. Am Anfang ihrer Politkarriere war sie eine gute Zuarbeiterin, dann entwickelte sie sich, wurde selbständiger und erntete prompt entsetzte Blicke. Es kostete sie durchaus Mühe, sich in die erste Reihe vorzuarbeiten, denn auch grüne, emanzipiert strickende Männer waren Männer und Renate Künast zunächst eine Quotenfrau.

Im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder bemerkt sie zwar schon noch, wie unterschiedlich Männer und Frauen auch in der Politik miteinander umgehen, doch in diesen anstrengenden und anspruchsvollen Zeiten, so glaubt sie, hat man gar keine Zeit mehr für Geschlechterfragen.

Zurückhaltung ist ihre Sache nicht. Als Rechtsanwältin hatte sich die sachliche Powerfrau auf Ausländerrecht, Bürgerrechte und Fragen der Gleichberechtigung spezialisiert und in Windeseile gelang ihr als Ministerin, sich in Sachen Landwirtschaft und Verbraucherschutz kundig zu machen.

Provokationen beim Outfit lagen ihr vor Gericht ebenso fern wie beim Auftritt auf dem Bauerntag, der sicher wieder in einem ihrer dezenten Hosenanzüge stattfinden wird. Die modische Entwicklung in ihrem Kleiderschrank hat mit dem Alter und mit mehr Geld zu tun und mit dem Kalkül, dass Charme und Ausstrahlung auch in der Politik als politische Größen zählen.

"Wenn es stimmt, dass mehr als 80% des Eindrucks über die Art erfolgen, wie ich persönlich auftrete, Kleidung, Sprache, Frisur, dann muss ich mich natürlich fragen, ob ich in einer Mediengesellschaft diese 80% einfach streiche und mich im Schlabberlook und mit ungewaschenen Haaren ins Fernsehen setze. Ich möchte, dass die Menschen mir zuhören und das heißt, ich kann dieses Mittel, angemessen gekleidet zu sein, durchaus nutzen. Aber es ist auch so: Ich verbiege mich nicht, ich habe da selber Spaß und Freude dran."

Renate Künast unterscheidet bei sich selbst zwischen der Politikerin und der privaten Renate. Im harten politischen Geschäft glaubt man leicht, man sei der Mittelpunkt der Welt, fürchtet sie. Deshalb ist ihr ein normales Leben neben Politik und -Medienauftritten besonders wichtig.

Von Parteifreunden wird Renate Künast als harter Knochen mit einem weichem Kern beschrieben. Sie hat ohne Zweifel Charme, lacht oft und gerne. Als schnell, pragmatisch, humorvoll und ehrgeizig zu gelten, gefällt ihr sehr gut:

(Lacht) "Das stimmt alles. Schnell - sowieso, also schnell im Denken, manchmal rede ich dann auch zu schnell. Pragmatisch stimmt auch, deshalb haben ja hin und wieder Linke in der Partei gesagt, ist sie denn noch links? Ja, ich habe mich da nie in irgendwelche Schubladen pressen lassen, gleichwohl ich immer weiß, wo ich herkomme und mich selber in der Partei Mitte links verorte. Wer mich länger kennt weiß, dass ich da auch hingehöre. Humorvoll stimmt auch, ich lache ungeheuer gerne und schätze das auch, wenn andere gute Witze machen das ist auch eine Technik, das alles nicht allzu bierernst zu nehmen, weil ich glaube, dass mit etwas Abstand sich Dinge sowieso besser bewältigen lassen. Was hatten wir noch? Ehrgeizig. Ich würde immer sagen 'zielstrebig' - und zwar habe ich mich von der Schüchternheit zur Zielstrebigkeit entwickelt."

Als harte Verhandlerin ist Renate Künast durchaus zu Kompromissen fähig. Dabei wird ihre Durchsetzungsfähigkeit manchmal mit Kühle verwechselt. Ihre früheren Ruppigkeiten hat die mediengewandte Politikerin jedoch weitgehend abgelegt und auch mit den als hartleibig geltenden Bauern kommt sie gut zurecht:

"Das sind alles ganz normale Menschen. Die Frage ist immer, ob man eingebildet durch die Welt läuft oder ob man schlicht und einfach miteinander guten Tag sagt und normal redet. Und da hab ich irgendwie kein Problem mit. Der Bauernhof war mir auch nicht fremd, weil mein Vater von einem kam und ich deshalb als Kind und als Jugendliche oft in Thüringen war – manche glaubten ja am Anfang mich zur Stadtgöre stilisieren zu müssen. Was sollte ich damals sagen, man kann nicht erklären ich bin das und das nicht, das muss sich zeigen. Ein anderer Punkt ist der, Bauern sagen gerade raus, was ihnen gerade durch den Kopf oder durch die Seele geht. Da sag ich immer, das ist gut so, das kann ich auch."

Klassische Musik und Sissi-Filme können bei ihr durchaus romantische Gefühle wecken. Gegner auf dem politischen Parkett bescheinigen Renate Künast einen Hang zu penetranter und engagierter Auseinandersetzung.

"Ich glaub, ich bin durchaus romantisch, vielleicht wirke ich nach außen etwas herbe. Das mag mit den Kämpfen zu tun haben. Ich habe in meinem Leben ungeheuer viel gekämpft. Also gekämpft, nicht passiv zu sein, mich zurückzuziehen. Ich habe ungeheuer gekämpft um Bildung, weil ich war die erste in der gesamten Verwandtschaft, die überhaupt mehr machte als den normalen Hauptschulabschluss. Ich habe mir die Realschule, das Sozialarbeitsstudium und das Jurastudium erkämpft und erarbeitet. Und dann in der Politik oder im juristischen Bereich, also in männerdominierten Bereichen zu agieren, macht einen vielleicht auch etwas herber, aber ich empfinde mich umgekehrt als immer weicher werdend. Und je sicherer ich mich fühle in vielen Bereichen und weiß, was die Jungs können, das kann ich allemal, desto weicher werde ich wieder und lasse das zu und ich kann persönlich zutiefst romantisch sein."

Renate Künast hat einen Lebenspartner, doch der bleibt ministerielle Privatsache. Im Alter, so blitzt sie mich verschmitzt an, kann sie sich durchaus vorstellen, nicht nur zu zweit, sondern in einer Alten-Wohngemeinschaft zu leben.

Doch noch ist es lange nicht soweit, sich darüber Gedanken zu machen. Hier und heute ist sie sehr gerne Landwirtschafts- und Verbraucherministerin. Sie erinnert sich zum Ende des Gesprächs nur an eine Situation, die für sie komisch war:

"Als ich nämlich vor einem Jahr auf der grünen Woche auf einem Strohballen saß und bei Neuland eine kleine Aktivität mitmachte, die kämpfen für artgerechte Tierhaltung bei Schweinen, hatte ich ein kleines Ferkelchen, dass gerade eine Woche alt war auf meinem Schoss. Es quiekte und wollte da nicht hin, während ich das Ringelschwänzchen anfaste, um zu sagen: 'Seht mal, liebe Kinder und Erwachsene, am Ringelschwänzchen erkennt ihr die artgerechte Tierhaltung, weil sonst wird es gleich kupiert...' In ungefähr diesem Augenblick muss mir dieses arme Tier so richtig auf den rechten Oberschenkel geschissen haben, so sah meine Hose aus, so roch es dann und ich war nur dankbar, dass es der letzte Termin an dem Abend war."

Redaktion: Agathe Strübel, Autorin: Gundel Köbke. Gekürzte Fassung. Gesendet im SWR am 03. Juni 2003.