Bundestagsrede zum Einzelplan Justiz und Verbraucherschutz

08.04.2014 Renate Künast zur Rechts- und Verbraucherpolitik der Bundesregierung.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst auf die EuGH-Entscheidung von heute eingehen.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aber -richtig!)

Der EuGH hat heute quasi eine Zeitenwende eingeleitet. Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie sich die Rechtspolitik in den letzten Jahrzehnten in den Bereichen Datenschutz und Grundrechte entwickelt hat – das ist schon beeindruckend –: Vor Jahrzehnten hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Es gibt ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Viele Jahre später hat es in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung kritisch entschieden. Heute hat der Europäische Gerichtshof glasklar entschieden – und weg ist die Richtlinie. Herr de Maizière hat vor einigen Stunden hier -gesagt, lieber wäre ihm gewesen, der EuGH hätte beanstandet und man hätte zwei Jahre Zeit bekommen, die Richtlinie zu überarbeiten. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir sind froh darüber, dass sie sogar rückwirkend für ungültig erklärt wurde. Das ist wirklich ein Meilenstein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das wird mehr bringen, als zwei Jahre an diesem Teil herumzufummeln.

Ich möchte aus der Entscheidung zitieren. Es wird gesagt, dass das Eingriffe „von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte“ sind, und zwar gegen alle und bei jeder Kommunikationsform. Das Gericht hat kritisiert, dass es keine Differenzierung gibt, sondern eine große Streubreite. Es hat kritisiert, dass ohne Anlass gespeichert wird, egal ob eine schwere Straftat vorliegt oder gar keine. Es hat kritisiert, dass es keine Beschränkung auf das absolut Notwendige gibt. Deshalb lautet das Ergebnis – das ist Fakt –: Die Zeitenwende beginnt mit dieser Entscheidung heute, weil jetzt klar ist, dass die Sicherheit definitiv nicht jedes anlasslose Eingreifen in unsere Grund- und Menschenrechte rechtfertigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will an dieser Stelle durchaus auch Folgendes sagen: Herr Maas, es ist wohltuend, wie Sie sich in der Debatte verhalten haben, klar und auch mal abwartend, was das Gericht uns aufgibt. Ich finde es auch wohltuend, wie Sie sich heute äußern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich muss allerdings anfügen, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte, wie ich gerade gelesen habe, sagt: Einmal abwarten, ob der europäische Gesetzgeber eine neue Richtlinie macht oder nicht, und dann schauen wir weiter. – Das löst bei mir die Frage aus: Wozu brauchen wir eigentlich eine Bundesdatenschutzbeauftragte? In dieser Hinsicht ist es ein Tag zum Zweifeln.

Jetzt habe ich genug gelobt. Herr Maas, Sie und auch Herr Lischka haben gerade gesagt: Die Rechtspolitik und die Verbraucherpolitik haben einen neuen, einen hohen Stellenwert. Alles ist ganz toll. – Ich muss ehrlich sagen: Auch hier finde ich wieder nur jede Menge Ankündigungen. Bei der Rede von Herrn Lischka hatte ich schon das Gefühl, dass er, wenn er hier nur wiederholt, was in 100 Tagen angekündigt wurde, schon Lob für große politische Errungenschaften bekommt. So dumm sind wir nicht, Herr Lischka. Wir können sehr wohl zwischen Ankündigungen und einem Gesetz im Bundesgesetzblatt unterscheiden.

(Burkhard Lischka [SPD]: Sie werden staunen, wie schnell das geht!)

Schauen wir uns einmal an, was alles angekündigt wurde: Frauenquote, Mietpreisbremse, Adoptionsrecht, Anlegerschutz, Kinderschutz im Strafrecht, Antidopinggesetz, Modernisierung des Mordparagrafen, Verbesserung des Datenschutzes, No-Spy-Abkommen, Einrichtung eines Sachverständigenrats für Verbraucherfragen und Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Zeitalters. Meine Redezeit reicht nicht aus, jetzt bei jedem dieser Punkte zu schauen, was von den Ankündigungen umgesetzt wurde.

Nehmen wir als ein Beispiel das Adoptionsrecht. Dies ist einer der Punkte, für den Sie sich hier loben. Sie loben sich für etwas, was durch das Bundesverfassungsgericht ab 30. Juni dieses Jahres zwingend vorgeschrieben ist. Sie haben es immerhin geschafft, eine Vorlage zu machen, die null Gestaltungsspielraum bietet. Sie schreiben nur das Allernötigste, was das Gericht vorschreibt, ins Gesetz. Dafür sollen wir Ihnen noch Applaus geben? Nein, das können Sie nicht von uns erwarten. Ich kann allenfalls sagen: Applaus für die Bürger, die Betroffenen, die dafür gekämpft haben, dass es eines Tages diese Gerichtsentscheidung gibt, die dieses Parlament zum Handeln zwingt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein weiteres Beispiel ist die Mietpreisbremse. Es wurde groß gelobt, was jetzt alles passieren wird. Ich muss Sie einmal bitten: Noch ist dieser Gesetzentwurf nicht verabschiedet. Das Erste, was ich gehört habe, als dieser Gesetzentwurf vorgestellt wurde, war Kritik von Herrn Luczak, der als Zuständiger der CDU/CSU-Fraktion sagte: So haben wir uns das nicht gedacht. Dadurch weiß ich zumindest, dass dieser Entwurf in der aktuellen Fassung offensichtlich nicht in oder durch den Deutschen Bundestag kommt.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das Struck’sche Gesetz!)

Angesichts all der Lorbeerkränze, die sich manche hier schon selber aufsetzen, muss ich sagen: Wissen Sie, bis Ihr Gesetzentwurf verabschiedet ist, sind die Mieten sicherheitshalber zwei- bis dreimal erhöht worden, was auch zu einer Erhöhung des Mietspiegels führt.

(Zuruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])

Ich habe noch eine Frage: Warum gehen Sie nicht gleich die Modernisierungsumlage mit an und machen dazu einen Vorschlag? Denn die Modernisierungsumlage – 11 Prozent der Modernisierungsaufwendungen können auf die Miete umgelegt werden – und die Maßnahmen, die man dulden muss, bedeuten eine große Belastung für die Mieterinnen und Mieter. Sie sind also noch gar nicht richtig losgesprungen, wieso sollen wir dann applaudieren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich komme zur Frauenquote. Wenn Ekin Deligöz jetzt hier wäre, würde sie seufzen. Die Frauenquote war ja nicht gerade das Lieblingsthema der SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode.

(Widerspruch bei der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Wir haben zusammen einen Gesetzentwurf gemacht!)

– Das kann man so nicht sagen. Einige schauen dabei weg. – Man musste Sie zum Jagen tragen.

(Burkhard Lischka [SPD]: Was?)

Ich glaube, Dagmar Ziegler weiß, wie schwer es war. Man soll ja klüger werden, weiterkommen und positiv denken. Aber statt der eigentlich 3 300 Betriebe, auf die man dabei setzen müsste, sind von der von Ihnen geplanten Quote ungefähr 100 Betriebe betroffen.

Ich könnte noch weitermachen. Wo ist eine Vorlage zum Kundendatenschutz? Wo sagen Sie etwas zu den 18 Millionen gestohlenen Passwörtern? Wo sagen Sie etwas zum Urteil des BGH zur Schufa und ändern das Bundesdatenschutzgesetz? Wo ist das Geld für die Einrichtung einer Geschäftsstelle für den Sachverständigenrat? Zu all diesen Dingen findet man am Ende gar nichts.

Ein weiteres Beispiel. Ende April jährt sich der Tag, an dem das Rana Plaza in Bangladesch, in dem sich mehrere Textilfabriken befanden, zusammenbrach und regelrecht zertrümmert wurde. Dabei starben 1 200 Menschen. Wo ist jetzt eine Initiative von Ihnen? Herr Müller, Ihr Kollege, erklärt uns gerade, dass er einen Runden Tisch für die deutsche Textilindustrie einsetzen wird. Ich rufe Herrn Müller zu: Es gibt eine internationale, eine globale Textilindustrie. Also lassen Sie uns dafür Maßnahmen ergreifen. Was hat eigentlich der Bundesverbraucherminister zum Beispiel zu einer möglichen Transparenzrichtlinie für die Textilindustrie auf europäischer Ebene gesagt?

Herr Maas, Sie haben sich bei der Vorratsdatenspeicherung klug verhalten. Trotz alledem sage ich Ihnen: Minister werden nicht an Interviews gemessen, sondern an Taten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)